Die Kunst des Seinlassens
Luser beginnt als Zeichner, ich lerne ihn kennen, als er mehrere Stifte zur Hand nimmt...gleichzeitig. Die Zeichnungen, die seitdem entstehen, sind verstörend, nicht nur weil sie frei fabulieren und ihre Motive aus Moment und Spontaneität nehmen. Jeder Strich hat einen Partner, der seine Figuren nachbildet, jede Signatur einen Schatten, jede Linie einen gleichlaufenden Begleiter. Auch heute sind diese Parallelläufe noch zu sehen, nun aber mehrfach in Siebener- und Zehner-Reihen, fast wie Renderings oder digitale Schnittmuster. So entstehen elegante Wellenschnitte, die bei Luser, der sie frei laufen lässt, manchmal an Höhenlinien, polare Himmelerscheinungen oder Höhlenzeichnungen erinnern. Sie durchziehen das Bild wie Winde, die zugleich meteorologische Raumvermessungen sein könnten, topografisch, und thermisch. In großformatigen Aquarellen durchkreuzen diese wetterfühligen Farbbahnen die gläsern wirkenden Oberflächen. Ein blasses Olivgrün verteilt sich und zerrinnt bis zu unwahrnehmbaren Dosen verwässert, nur manchmal von Gelb gerahmt, sodass sich Inseln bilden, die wie erste biologische Besiedler einer vormateriellen Welt aussehen. Dazwischen gibt es Küsten zu sehen, Fischaugen, allerlei Absurdes und Surreales, Staccatolinien und Sprachfragmente, Unterwelten und kosmische Dehnung. Dabei verschwinden die Koordinaten, das Unten und das Oben, die Tiefe und die Höhe, der Raum und das Jetzt.
Lusers Objekte sind Anspielungen. Sie machen keine Musik und schwingen dennoch unter atmosphärischer Resonanz. Sie sind Kringel, Kürzel, Gekritzel, Einfassungen von Volumen und deren verwirrende Durchdringung. Die Fundstücke sind antiquarisch. Sie werden jedoch weder restauriert noch wiederhergestellt, sondern eigentümliche Weise fortgesetzt. Es entstehen Prothesen aus altem Holz und jungem Metall. Das Fragment dient Luser als Inspiration. Diese Dinge schwingen, sie drehen sich und schweben. Ihre Zirkulation erinnert an die Sphärenklänge und an die Möglichkeit, musikalische Schwingung im Raum zu bannen. Das Mathematische spielt seit jeher in der Musik eine Rolle, das Verhältnis der Saitenlängen zueinander, doch Luser dehnt sie aus, zu Schnörkel, Kringel, Reifen und Ringe. Es sind Tontropfen, erstarrte Saiten, klingende Geschöpfe, - eine leise Kunst, die vernehmbar wird, eine Kunst des Seinlassens.
Es ist eine Kunst, die die Substanz nicht braucht, um uns zu verstehen, dass Wahrnehmen auch bedeutet, sich in fremdstimmige Frequenzlagen zu begeben. Das Sehen, das sich an die Kontur heftet, wird dabei die Räumlichkeit durch ihr Zeit erfassen und diese Objekte erst verstehen, wenn es das Gehör zu Hilfe nimmt, den Klang als Volumen begreift, als sinnlich wirkende Raumexistenz ohne Kontur.
Thomas Trummer, 2015 (Textauszug)